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Wirtschaft G-20-Gipfel

So reden sich die Mächtigen ihre Rettung der Welt schön

G-20-Gipfel in Buenos Aires - Massive Proteste von Gipfelgegnern erwartet

In Buenos Aires bereiten sich die Sicherheits-Behörden auf den diesjährigen G-20-Gipfel in der argentinischen Hauptstadt akribisch vor. Das Polizei-Aufgebot ist so international wie der Gipfel selbst.

Quelle: WELT/Kevin Knauer

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Immer wieder streiten sich die Länder der G 20 auf der großen Gipfelbühne. Hinter den Kulissen jedoch kommen erstaunlich viele Vereinbarungen zustande, wie eine Untersuchung zeigt. Doch auch dieser Schein trügt.

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Sie trommeln sich wild auf die Brust, zerreißen mit übermenschlichen Kräften ihre Kleidung, prügeln Bösewichte kilometerweit durch die Luft und retten – natürlich – die Welt: Superhelden. Am 7. Dezember kommen sie in Argentinien zusammen, im Konferenzzentrum Costa Salguero, direkt am Río de la Plata. Am Ufer der Atlantikküste der Hauptstadt Buenos Aires wird dann die argentinische ComicCon gefeiert, eine Messe für alles, was mit Comics, Zeichentrick und Superhelden zu tun hat.

Ein bisschen Superheldenstimmung werden sich nur wenige Tage vorher auch Angela Merkel, Wladimir Putin, Donald Trump, Emmanuel Macron und Co. wünschen – denn auch sie tagen im Costa-Salguero-Komplex in Argentinien. Und wenn Sie dort ankommen, haben sie wohl nicht weniger vor, als die Superhelden der ComicCon: die Welt retten.

So stellen sich die Staats- und Regierungschefs der G 20 gerne dar, wenn sie über den Syrien-Konflikt, Klimaziele und die Regulierung der Finanzmärkte beraten. Denn ob beim G-20-Gipfel in Hamburg 2017 oder beim Treffen der G 7 in Kanada, das US-Präsident Donald Trump fluchtartig und beleidigt verließ: Das Themenspektrum der Industrie- und Schwellenländer wächst. Doch immer häufiger scheint es so, als stünden die großen Gipfeltreffen kurz vor dem Aus.

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Davon wollen die Teilnehmer der Gipfelrunden zumeist aber nichts wissen – wie eine Studie zeigen soll. Sie behauptet: Zumindest hinter den Kulissen ziehen die mächtigen Industrieländer an einem Strang und halten ihre Vereinbarungen so verbindlich wie noch nie ein. Doch dahinter scheint sich ein Kalkül zu verbergen.

Der Bericht, der die Erfolge der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer bestätigen will, stammt aus der Feder der Universität Toronto und der Russischen Präsidentenakademie in Moskau. Die Forschungsgruppe verfolgt seit 2008 jedes Jahr die Bemühungen der G-20-Mitglieder, die auf dem letzten Gipfel vereinbart wurden.

Die Untersuchung des letzten Gipfels in Hamburg zeigt: Laut dem Zwischenbericht der Forschungsgruppe haben die Mitglieder 17 vorrangige Verpflichtungen erfüllt. Damit haben sich die Staaten an 85 Prozent ihrer Ziele gehalten – und übertreffen sogar die Quote von 83 Prozent beim ersten Treffen der Staats- und Regierungschefs der G 20 in Washington im Jahr 2008.

Immer niedrigschwelligere Ziele

Doch der Blick auf die Ziele, die in Hamburg festgehalten wurden, zeigt, wie sehr sich die Interessen der Gruppe verschoben haben. Hinter den 17 vorrangigen Zielen stecken insgesamt 531 Vereinbarungen. Und aus denen wird deutlich, dass die G 20 ihr Themenspektrum immer stärker erweitern: Zwar vereinbarten die 20 Staaten, man wolle Protektionismus weiter bekämpfen und das internationale Finanzsystem krisensicherer machen, doch auch der Klimawandel, Migration und der Kampf gegen den Terrorismus wurden in der Abschlusserklärung ausführlich thematisiert.

Genau diese Entwicklung kritisiert Heribert Dieter, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zu globalen Wirtschaftsfragen forscht. „Bei den Gipfeln haben sich die Länder in den letzten Jahren immer niedrigschwelligere Ziele gesteckt, sodass es wenig überraschend ist, dass diese auch immer erfolgreicher eingehalten werden“, rügt er den Schein der heilen Gipfelwelt.

Wenig verwunderlich seien da die aktuellen Topwerte der Studie aus Toronto und Moskau. Die Forschungsgruppe bewertet die Länder für jedes Ziel auf einer Skala von -1 bis +1. Für die Nichteinhaltung eines Ziels werden negative Werte verteilt, laufende Arbeiten erhalten eine neutrale Wertung und Pluspunkte sammeln die Staaten für erfüllte Aufgaben. Eine Verpflichtung definieren die Forscher als öffentliches Versprechen der Gipfelteilnehmer, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

Großbanken an die kurze Leine

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Am höchsten war die Einhaltung der Verpflichtungen mit Blick auf die Themen Gewinnkürzungen, Gewinnverschiebungen und Finanzmarktregulierung. Die Widerstandsfähigkeit gegen Korruption zu erhöhen, gelang hingegen am schlechtesten.

Primus der Staatengruppe ist Kanada, gefolgt von der Europäischen Union mit den höchsten Werten. Saudi-Arabien und die Türkei fallen hingegen negativ auf – sie haben nur 68 Prozent der untersuchten Ziele erreicht. Deutschland soll es nach der Auswertung gelungen sein, 91 Prozent der Vereinbarungen in die Tat umzusetzen.

Seit dem ersten G-20-Gipfel 2008 überwacht die Forschungsgruppe nach eigenen Angaben die Einhaltung der Gipfelvereinbarungen, will die Arbeit der Gruppe „transparenter, zugänglicher und effektiver“ machen. Bei ihrer Einschätzung stützt sie sich auf öffentliche Informationen, Dokumente und Medienberichte.

Mit Blick auf vergangene Gipfel kann die G 20 die Untersuchung als großen Erfolg verbuchen. Zum Vergleich: Nach den Treffen in London und Pittsburgh 2009 erreichte man nur jeweils 62 Prozent der Ziele – trotz kleiner Schwankungen stiegen die Werte dann kontinuierlich wieder an.

Heribert Dieter, der diesen Trend auf die breite Themensetzung zurückführt, kritisiert die Studie daher als „Selbstbeweihräucherung“ und gibt zu bedenken, dass „die G 20 im Bezug auf die Prävention von Finanzkrisen kaum noch etwas bewegt“.

Beim Gipfel in Cannes einigte man sich etwa 2011 darauf, „Großbanken an die kurze Leine zu nehmen“, erklärt Dieter. Im Abschlussdokument heißt es damals unter Ziffer 28 klar und deutlich: „Wir sind entschlossen sicherzustellen, dass kein Finanzinstitut ‚zu groß zum Scheitern‘ (,too big to fail‘) ist und die Steuerzahler nicht für die Kosten einer Abwicklung aufkommen müssen.“

Trumps Handschrift erkennbar

Um dieses Ziel umzusetzen, billigten die G 20 umfassende Regulierungen, einen neuen internationalen Standard für die Abwicklung von Banken und stärkere Überwachungsmaßnahmen. „Dieses wichtige Vorhaben wurde aufgegeben“, kritisiert Dieter. Heute bleiben die Staats- und Regierungschefs in ihren Erklärungen lieber schwammig.

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Zur Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems, genau jenes Thema, das man in Cannes 2011 ehrgeizig verhandelte, heißt es in der Abschlusserklärung von Hamburg etwa nur: „Wir werden stärkere Teilhabe, Fairness und Gleichstellung in unserem Streben nach Wirtschaftswachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen fördern.“

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Auch bei der weiteren Liberalisierung des Handelssystems seien massive Rückschritte erkennbar, sagt Dieter. So heißt es etwa in der Erklärung von Hamburg, dass man die „Rolle rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente“ anerkennen wolle. Aus Zeilen wie dieser wird die Handschrift von Donald Trumps „America first“-Politik klar erkennbar – die fernab der eigentlichen G-20-Ziele liegt.

Dieter findet es deshalb „verwunderlich, dass solche Berichte überhaupt veröffentlicht werden“. Mit Blick auf das zehnjährige Bestehen der Staatengruppe zieht er ein wenig schmeichelhaftes Fazit: „Die G 20 ist ein Prozess, der an Dynamik verloren hat. Es nützt niemandem, wenn solch ein Bericht den irreführenden Eindruck erweckt, dass die G 20 die breite politische Unterstützung genießt, die sie genießen sollte.“

Bestenfalls Trippelschritte

Nun steht das nächste Gipfeltreffen unter Schirmherrschaft von Argentinien in Buenos Aires an. Und die Zeichen stehen erneut auf Konflikt: In einem Gespräch mit dem „Wall Street Journal“ kündigte US-Präsident Donald Trump am Montag an, er werde wohl an einer Anhebung der Strafzölle gegen China festhalten – keine guten Zeichen für eine fortschrittliche, gemeinsame Gipfelerklärung.

Doch auf diese hoffen die vielen sogenannten Engagement Groups, die sich in unzähligen Sitzungen vor dem Zusammenkommen der Staats- und Regierungschefs getroffen haben. Sie begleiten die Zusammenkunft etwa aus Sicht der Wirtschaft, der Jugend oder der Wissenschaft – und haben hohe Ansprüche. Etwa die „C20“, die als „globale Zivilgesellschaft“ Forderungen an die Industrie- und Schwellenländer formuliert haben.

Vollmundig wünschten sie sich im August eine „sozial-ökologische Transformation“ und hoffen nun, dass die Staats- und Regierungschefs einen „profunden Wechsel in unserem Wirtschafts- und Politikmodell“ einleiten, erklärte etwa Bernd Bornhorst, Chef des Verbands für Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro).

Daran glaubt Ökonom Heribert Dieter nicht. Er geht davon aus, dass auch in Buenos Aires kaum wegweisende Entscheidungen gefällt werden: „In Buenos Aires wird man bestenfalls Trippelschritte vereinbaren, aber wahrscheinlicher ist der weitere Zerfall der multilateralen Wirtschaftsordnung.“

Droht Mohammed Bin Salman beim G-20-Gipfel die Festnahme?

Der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman wird in Buenos Aires zum G-20-Gipfel erwartet. Human Rights Watch hat Anzeige erstattet und fordert, den Prinz wegen Tötung des Journalisten Khashoggi zu verhaften.

Quelle: WELT / Lukas Axiopoulos

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